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Glücklicherweise waren nur Putzfrauen an Bord

Die schönsten sprachlichen Abstürze von Politikern, Behörden und Mediengrößen, Piper Taschenbuch 7421, Piper Taschenbuch 27421

Erschienen am 14.05.2012
Bibliografische Daten
ISBN/EAN: 9783492274210
Sprache: Deutsch
Umfang: 160 S.
Format (T/L/B): 1.4 x 19 x 12 cm
Einband: kartoniertes Buch

Autorenportrait

Norbert Golluch arbeitete als Redakteur einer Satire-Zeitschrift und Verlagslektor, bevor er zahlreiche Sachbücher, Kinderbücher und eine Vielzahl humoristischer Texte veröffentlichte, zuletzt den Bestseller "Stirbt ein Bediensteter während der Dienstreise, so ist die Dienstreise beendet". Er lebt mit seiner Familie bei Köln.

Leseprobe

Gründe, im Grabe zu rotieren   . Flackernd steigt die Feuersäule / Durch der Straßen lange Zeile / Wächst es fort mit Windeseile / Kochend wie aus Ofens Rachen / Glühn die Lüfte, Balken krachen / Pfosten stürzen, Fenster klirren / Kinder jammern, Mütter irren / Tiere wimmern / Unter Trümmern / Alles rennet, rettet, flüchtet / Taghell ist die Nacht gelichtet.   War Friedrich Schiller der erste Katastrophenreporter? Auf jeden Fall kennt er sich aus mit den Anforderungen an einen solchen Text. Jedes Wort in seinem 'Lied von der Glocke' ist wohlgesetzt, die Information ist umfassend, die Bilder stimmen. Und selbstverständlich liefert der Dichter auch die nötige Portion Sensation. Die Katastrophen sind seither nicht kleiner geworden, Reporter und Journalisten haben viel zu tun in diesen Tagen. Gierig wie des Ofens Rachen fordern nicht nur die klassischen Druckmedien immer mehr Information, um sie zu verheizen, hinzu kommen die audiovisuellen Medien und das Internet. Katastrophenberichte werden gern genommen, besonders wenn darin Balken krachen, die Lüfte glühen und alles kopflos durch die Gegend rennt. Aber das genügt nicht als Futter für das gierige Monster im Ofen. Weil das Desaster nicht in ausreichender Menge vorhanden ist, wird es mit trivialem Restmüll, Reality genannt, angereichert. Da wird zur Nachricht, was eigentlich niemanden interessieren dürfte, geistige Vollpfosten stürzen sich auf die Medien, dass die Balken krachen und die Fenster nur so klirren. Und weil das Medium nach neuem Futter giert, lassen auch Politiker, Prominente und andere menschliche Wesen im Glauben an ihre eigene Bedeutung flackernd ihre Feuersäule aus Banalitäten und Leerinformationen emporsteigen. Nein, Mangel an Information ist unser Problem nicht. Neben tatsächlichen und ausschließlich verbalen Katastrophen wird mittlerweile auch die letzte Privatheit in den Rachen des Ungeheuers geworfen, face to facebook jammern Kinder und Männer, irren Frauen und Mütter, und je alltäglicher die Information, umso mehr wächst sie fort in Windeseile. Millionen followers können nicht irren, postet mehr. Apropos: Nein, besser sind sie nicht geworden seit Schillers Zeiten, all die Sänger des Desasters und die Barden des Trivialen. Der Schwall ihrer Worte wächst und wächst durch der Zeilen lange Straße, und was als Katastrophenbericht heute oft herauskommt, klingt zum Beispiel so:   '. da man Menschen in dem brennenden Flugzeug vermutete. Glücklicherweise waren nur Putzfrauen an Bord.' Moosburger Zeitung   Man weiß nicht genau, wo Friedrich Schiller begraben liegt, in Weimar oder in Bonn. Ein guter Weg, es herauszufinden, wäre, obigen Putzfrauen-Text auf dem Friedhof laut zu verlesen. Schiller würde im Grabe rotieren.   Wenn die Sprache Fallen stellt   Beginnen wir sozusagen mit der Morgenzeitung. Das gedruckte Wort hat noch immer mehr Gewicht als das gesprochene, heißt es gemeinhin - auch wenn die Zeiten, in denen man sich mit der Zeitung gemütlich am Frühstückstisch niederließ, um sich via Papier zu informieren, dank Tablet-PC und Online-Überinformation vielerorts der Vergangenheit angehören. Wenn man schon Zeitung liest, erwartet man jedoch von den Ergüssen der schreibenden Zunft ein gewisses Maß an Qualität, wenn es sich denn nicht gerade um ein Revolverblatt handelt. Zumal ein ganzer Stab von Mitarbeitern daran beteiligt ist, Fehler auszumerzen - von den korrigierenden Computerprogrammen ganz zu schweigen. Und doch schleicht sich immer wieder der eine oder andere Fauxpas in die täglichen Meldungen ein. Mit den folgenden sprachlichen Kostbarkeiten erfreuten Journalisten in gedruckten Medien ihre Leser und Abonnenten:   'Die meisten Hunde begrüßten den Schirmherrn der Ausstellung, Herrn Bürgermeister Schulze, mit freudigem Schwanzwedeln. Unser beliebtes Stadtoberhaupt erwiderte den Gruß mit derselben Herzlichkeit!' Aus einem Bericht über eine Hundeschau     '160 Häftlinge warten auf den Tag der offenen Tür.' Hamburger Abendblat